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Die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht „Freiberufliche Tätigkeit vs. Sozialversicherungspflicht“

Ob ein in der Zahnarztpraxis tätiger „Freelancer“ tatsächlich selbständig tätig ist, bedarf einer sorgfältigen Analyse

Nicht selten werden in einer zahnärztlichen Praxis externe Mitarbeiter beschäftigt, für deren Tätigkeit keine Sozialversicherungsabgaben geleistet werden. Im Falle einer Betriebsprüfung kann dies zu bösen Überraschungen führen, insbesondere dann, wenn Sozialversicherungsbeiträge für viele Jahre in der Vergangenheit nachgefordert werden. Grund genug, die aktuelle Rechtsprechung näher zu betrachten. 

Das Landessozialgericht Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 15.02.2023 - L 5 B A 2231/20 - festgestellt, dass eine externe Abrechnungshelferin durchaus ohne die Verpflichtung zur Abgabe von Sozialversicherungsbeiträgen als freie Mitarbeiterin beschäftigt werden kann. Voraussetzung ist allerdings, dass diese Mitarbeiterin sowohl ihre Arbeitszeit als auch den Arbeitsort frei bestimmen kann sowie als selbstständige Unternehmerin für mehrere Zahnärzte tätig ist und ihr persönliches Unternehmerrisiko trägt. Im entschiedenen Fall leistete die Mitarbeiterin für mehrere Zahnarztpraxen Verwaltungstätigkeiten. Sie verfügte über einen eigenen PC, Drucker etc. und nutzte das von ihr verwendete Abrechnungsprogramm. Stundenweise war sie entweder in der Praxis des beauftragenden Zahnarztes oder aber über einen Fernzugriff auf den Praxiscomputer von ihrem Büro aus mit der Erstellung von Heil- und Kostenplänen sowie der Abrechnung tätig. Daneben war sie für das Qualitätsmanagement der Praxis zuständig. In den täglichen Ablauf der Praxis war sie nicht eingebunden, sie nahm keine Aufgaben im Team wahr. Insbesondere war sie keinen Weisungen des Praxisinhabers unterworfen. Die Mitarbeiterin arbeitete nach Bedarf, die Arbeit blieb liegen, wenn sie krank oder urlaubsbedingt abwesend war. Die Vergütung erfolgte zu einem festen Stundensatz zzgl. Umsatzsteuer. 

Der zuständige Sozialversicherungsträger war der Auffassung, dass die Mitarbeiterin der Sozialversicherungspflicht unterliege und verlangte von dem Zahnarzt die Erstattung rückständiger Sozialversicherungsbeiträge. Bereits in der 1. Instanz hatte das Sozialgericht dem klagenden Zahnarzt Recht gegeben und die entsprechenden Bescheide aufgehoben. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg bestätigte dieses Urteil in der Berufungsinstanz und stellte fest, dass die Tätigkeit der Mitarbeiterin nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegt. Maßgeblich sei, die vertragliche Vereinbarung der Parteien, die u. a. die jederzeitige Kündigungsmöglichkeit vorsah und es der Mitarbeiterin freistand, wann und wo sie ihre Tätigkeit ausübt, und da sie keinen Weisungen des auftraggebenden Zahnarztes unterlag, bewerteten beide Instanzen diese Tätigkeit der externen Mitarbeiterin als freiberuflich und damit als nicht sozialversicherungspflichtig. 

Wenige Tage zuvor hatte dasselbe Gericht einen etwas anders gelagerten Sachverhalt zu bewerten (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10.02.2023 – L 28 BA 24/19). In dieser Entscheidung ging es um die Frage, ob eine ausgebildete Dentalhygienikerin, die Leistungen der Prophylaxe und der Dentalhygiene in einer zahnärztlichen Praxis im Namen und für die Rechnung der Zahnärzte erbringt, als selbstständige Tätigkeit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne zu qualifizieren sei. 

Der zuständige Sozialversicherungsträger erkannte die Tätigkeit der DH als abhängiges Beschäftigungsverhältnis und verlangte nach einer erfolgten Betriebsprüfung die Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen der vergangenen 5 Jahre. Die in der Praxis eines Kieferorthopäden zeitweilige Dentalhygienikerin war nicht nur dort, sondern auch in weiteren Praxen stundenweise unter Verwendung eigener Materialien und Instrumente tätig. Die DH sollte vertraglich die Aufgaben der Abrechnung und Prophylaxe übernehmen, wobei ausdrücklich geregelt war, dass sie keinen Weisungen und keinen Einschränkungen bezüglich ihrer Arbeitszeit unterliegt. Vereinbart war eine Anwesenheit in der Praxis von „ca. 17 Stunden wöchentlich“ zu einem monatlichen „Pauschalhonorar von ca. € 500,00“. 

Das Finanzamt stellte in seinem Bericht zur Lohnsteueraußenprüfung fest, die Ausübung der Tätigkeit der DH sei in der Selbstständigkeit nicht zulässig. Für die Beurteilung der Tätigkeit als Dentalhygienikerin sei das Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde (ZHG) zu beachten, wonach zwar eine Delegation der Prophylaxe-Leistungen durch den Zahnarzt an dafür qualifiziertes Personal zulässig sei. Dieses Personal müsse allerdings im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses tätig werden, da der Zahnarzt dessen Leistung nicht nur anzuordnen, sondern auch zu überwachen hätte. Eine selbstständige Ausübung der Zahnprophylaxe verstoße gegen das ZHG. 

Das Sozialgericht Berlin gab der Klage des Kieferorthopäden (teilweise) statt und stellte fest, dass die Dentalhygienikerin einerseits nicht in den laufenden Praxisbetrieb des Kieferorthopäden eingebunden war (sie konnte die Terminvereinbarungen mit den Patienten eigenverantwortlich organisieren); andererseits – so das Sozialgericht Berlin – sei die Zahnprophylaxe kein notweniger Bestandteil der kieferorthopädischen Behandlung. Schließlich habe die Dentalhygienikerin die entsprechenden Materialien für die Prophylaxe aus eigenen Mitteln besorgt und trage damit ein gewisses unternehmerisches Risiko. 

Dieser Auffassung hat das Landessozialgericht widersprochen und der Berufung des zuständigen Trägers der Rentenversicherung aufgrund der vertraglichen Vereinbarung der Parteien, wonach die Dentalhygienikerin Aufgaben der Abrechnung sowie der Prophylaxe im Umfang von 17 Stunden wöchentlich zu erbringen hat, stattgegeben. Zwar seien vertraglich die Zeiten der Arbeitseinsätze nicht geregelt, dennoch – so das Landessozialgericht – ändere dies nichts an der vertraglichen Verpflichtung zur Leistung der Arbeitseinsätze. Bei der Gewichtung der Indizien hat das Landessozialgericht insbesondere den im ZHG normierten Arztvorbehalt herangezogen. Danach können Leistungen der Zahnheilkunde durch nichtärztliche Mitarbeiter nur in engen Grenzen und unter Beachtung der Vorgaben des § 1 Absatz 5, 6 ZHG zulässig delegiert werden. Die Einhaltung dieser gesetzlichen Vorgaben sei nicht nur Voraussetzung dafür, dass die Behandlung ohne Rechtsverstoß überhaupt erfolgen darf, sondern auch Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Abrechnung und für die Begründung eines Vergütungsanspruches nach der GOZ. 

Das Gericht stellt weiter klar, dass spezifische niedriger bewertete Gebührenziffern für eine (eigenständige) Leistung der Dentalhygienikerin nicht existieren. Im Ergebnis bedinge die Prophylaxetätigkeit nichtärztlicher Mitarbeiter der Eingliederung in die Organisations- und Weisungsstruktur der zahnärztlichen Praxis. Deshalb unterlag die Dentalhygienikerin den Weisungen des Kieferorthopäden und war in dessen Praxisbetrieb eingebunden. Dies zeige sich daran, dass die Dentalhygienikerin in den Praxisräumen die Prophylaxe durchführte und die erbrachten Leistungen durch den Kieferorthopäden auf dessen Briefbogen abgerechnet wurden. Schließlich sprach das Landessozialgericht der Dentalhygienikerin ein unternehmerisches Risiko deshalb ab, weil sie von dem Kieferorthopäden einen festen Lohn für die geleisteten Arbeitsstunden erhielt und damit keinen Verdienstausfall zu befürchten hatte. 

In einer weiteren Entscheidung beschäftigte sich das Landesarbeitsgericht Köln – Beschluss vom 06.05.2022 – 9 T a 18/22 – mit der Frage, ob ein Praxisvertreter als Arbeitnehmer oder Freiberufler zu qualifizieren sei. 

In dem entschiedenen Fall war ein Facharzt für eine erkrankte Praxisinhaberin als Vertreter tätig. Der Vertretervertrag sah die „freiberufliche“ Tätigkeit des Vertreters zu bestimmten Praxiszeiten vor, die Vergütung war mit einem Stundensatz sowie einer Prämie für IGEL-Umsätze vereinbart. Ausdrücklich war vorgesehen, dass der Vertreter in Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit keinen Weisungen der Praxisinhaberin unterliegt. 

Das Arbeitsgericht bejahte – entgegen dem Vortrag der Praxisinhaberin – den Status des Vertreters als Arbeitnehmer und begründete dies mit den fest vereinbarten Praxiszeiten, in denen der Vertreter zur Verfügung stehen musste, sowie der Tatsache, dass er sämtliche Betriebsmittel und Einrichtungen der vertretenden Praxis nutzte und damit kein unternehmerisches Risiko trüge.  Hieran ändere sich auch nichts deshalb, weil er an erwirtschafteten Umsätzen durch IGEL-Leistungen beteiligt war, und ebenso wenig, weil er keinen Einzelanweisungen bezüglich der Behandlungen und Therapien unterlag. 


Fazit: Diese Entscheidungen verdeutlichen, wie wichtig es ist, den Status von externen Mitarbeitern bereits zum Zeitpunkt Aufnahme der Beschäftigung unter Berücksichtigung der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien zu prüfen. Sofern diese Prüfung zu keinem sicheren Ergebnis führt, bleibt im Zweifel die Möglichkeit, eine sogenannte Statusfeststellung bei der Deutschen Rentenversicherung zu beantragten. Von dieser Möglichkeit sollte tatsächlich auch Gebrauch gemacht werden, um spätere Überraschungen zu vermeiden. Sozialversicherungsbeiträge verjähren erst nach 5 Jahren, sodass spätere Feststellungen einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zu erheblichen wirtschaftlichen Schäden führen. 

Sven Hennings
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
CausaConcilio Hamburg